Sonntag, 2. April 2006
Kein normaler Sonntag
Wieder ein Sonntag, wieder allein aufgewacht.

Seit einiger Zeit schon bestimmt das allabendliche Alleinsein nicht mehr meine Gedanken.
Nach etwa einem Jahr kann man von einem erwachsenen 34jährigen ja wohl erwarten, dass er aus dem selbstmitleidverseuchten Sumpf aus Trotz und selbstzerstörerischen Erinnerungen herauskriecht.

Denkste.

Gestern klingelte es ganz unverhofft. Ich schaute zur Uhr und rechnete mit Paketdienst oder Zeugen Jehovas.
Ich öffnete die Tür und da stand sie vor mir. Schön wie eh und je.
"Ich war grad hier und dachte, ich schau mal rein" sagte sie.
Ich war unrasiert und machte alles andere als einen gepflegten Eindruck, genau wie meine Wohnung.
Wie es mir so gehe, fragte sie. Gut. Peinliche Pause.
Kaffee? Danke nein, sie müsste auch gleich weiter und wollte nur Hallo sagen.
Gibt es irgendwo eine Anleitung, wie man sich in solchen Situationen verhält?
Wir unterhielten uns. Über Dinge, die wir gerade so machen und was so los ist in unseren Leben.

Suchte sie nach Anhaltspunkten für eine neue Frau in meinem Leben?
Ein böser Gedanke: Wollte sie sehen, ob das Revier noch frei ist?
Ich vermied das Thema vollkommen. Nicht, dass es da meinerseits etwas zu berichten gäbe, aber was ich in dem Augenblick am wenigsten gebrauchen konnte war etwas wie "Ich habe jemanden kennengelernt."

Als das Smalltalk-Repertoire aufgebraucht war, stand sie auf und verabschiedete sich.
"Bis bald mal" sagte sie. Als ich sie ansah wurde mir einmal mehr bewusst, wie sehr ich diese Frau geliebt habe. Neun Jahre lang waren wir ein Paar.

Als sie weg war, hatte ich alle Gedanken an das aufrecht Gehen und nach vorne Blicken weggefegt.
Ein Samstag abend, überrollt von einer intensiven Welle der Einsamkeit, Erinnerungen an schönere Zeiten wie unsere Gemeinsamen Reisen.
Das Gefühl, wenn man dem geliebten Menschen bei irgendeiner Tätigkeit zusieht und von dem Anblick hingerissen ist.
Das gemeinsame Lachen über irgendeinen Blödsinn, bis beiden der Bauch wehtut.
Der heftige Streit, bei welchem man die Versöhnung schon absehen kann, weil die Zornesfalte auf der Stirn und das Funkeln in den Augen mich vergessen lässt, worum es eigentlich ging. Weil ich nicht will, dass sie böse auf mich ist.
Diese Wohnung, die wir gemeinsam planten und bauten: Erinnerungen, wohin du auch blickst.

"Hör endlich auf, dich selbst zu bedauern, und mach mal wieder was anständiges, geh mal wieder weg!" sagte meine Schwester vor einiger Zeit zu mir.
Recht hat sie ja. Aber gestern Abend nicht.

Wieder ein Sonntag. Aber ich glaube, heute abend muss ich raus.

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Du bist zu nett. Du hättest sie nicht reinlassen dürfen. Es scheint ... zu früh für solche Besuche zu sein. In solchen Situationen ist purer Egoismus der beste Weg, da heil wieder rauszukommen. Und purer Egoismus wäre gewesen: Du, ich hab grad keine zeit. beim nächsten Mal vielleicht.

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Vielleicht bin ich das. Als guter Mensch half ich ihr sogar damals, als sie auszog, beim renovieren ihrer neuen Wohnung. Da sie niemanden hatte, war ich hilfsbereiter guter Mensch. Gibt halt Situationen, wo das ein Fehler ist.

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Es ist ganz normal, teilweise in der alten Rolle zu verharren, falls man sich nicht in grenzenlosem Streit getrennt hat oder in unüberbrückbarer Ferne voneinander lebt. Vor allem für denjenigen, der die Trennung nicht gewollt hat. Dagegen helfen keine guten Ratschläge von Bekannten und Psychologen. Erst mit den Jahren erscheint der vorlorene Partner wie ein alter Bekannter unter vielen. Bei mir hat es drei Jahre gedauert. Nun ist meine Frau eben die Mutter meiner Kinder, nicht mehr und nicht weniger.

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Die Dauer der Beziehung spielt dabei, denke ich, eine große Rolle. Mir wurde bewusst, dass ich wohl sehr an sie gewöhnt war. Das half sehr. Die Nachwehen von Samstag hielten auch nicht lange an, und ich denke es wird nicht mehr lange dauern und einsame Sonntage gehören (hoffentlich!) der Vergangenheit an.
Es ist nicht Liebe, die gibt es nicht mehr. Aber die Erinnerungen, die werden bleiben.

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Manchen gelingt es, in eine neue Liebe zu flüchten, viele haben sie bereits schon vor der Trennung. Mir ist das nur nach der ersten Ehe gelungen. Besser gesagt: Es ist mir widerfahren. Nach der zweiten Ehe, die ebenfalls viele Jahre hielt, dauerte es länger. Und wirklich ist es nicht nur eine Frage der Liebe, sondern auch der Erinnerung und der Trauer über alles, was man verloren hat, über die vergeblich investierte Kraft. Also vorwiegend Selbstmitleid, das aber auch nicht einfach verschwindet, nur weil man es möchte. Ich will Ihnen nicht die Hoffnung nehmen, alles schnell zu überwinden. Es ist aber auch nicht unangenehm, wenn man nach Jahren auf eine lange Trennungszeit zurückblicken kann, die einem sagt, daß man alles nicht leichtfertig getan hat.

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